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Biberach,

"Ehrenamtliches Engagement hat viele Facetten"

Interview-Reihe „Junges Ehrenamt“ | Jonas Allgeier (31) findet: Mit Empathie und Verständnis lebt es sich leichter

Jonas Allgeier Foto: Schwarzwälder Post/Susanne Vollrath

Von Susanne Vollrath

Mit 18 Jahren war Jonas Allgeier Helfersprecher im Ortsverband Biberach/Baden des Technischen Hilfswerks (THW). Mit nicht einmal 30 Jahren wurde er zum stellvertretenden Ortsbeauftragten bestellt. Susanne Vollrath erfuhr im Gespräch viel über die Herausforderungen eines THW-Jahres im Dauereinsatz. Verantwortung übernehmen – das lernt man bei dieser Hilfsorganisation zweifellos.

Herr Allgeier, das Jahr ist jung. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten und eine Sache auf der Welt verändern könnten: Was wäre das?

Wenn man Neid und Hass auf Knopfdruck abschaffen könnte, könnte man die richtig großen und auch die kleinen zwischenmenschlichen Schwierigkeiten auf unserer Welt ein Stück besser lösen. Beziehungsweise würden sie erst gar nicht entstehen. Leider geht das nicht. Was wir jedoch machen können ist, dass jeder einzelne von uns im persönlichen Rahmen versucht, sich bewusst dankbarer, emphatischer und ein Tick verständnisvoller zu zeigen – gerade in dieser Zeit.

Dankbarkeit gilt als ein Schlüssel zum Glück. Wofür sind Sie dankbar?

Für uns, zumindest für meine Generation, ist zum Beispiel der Zugang zu ärztlicher Versorgung selbstverständlich. Genauso selbstverständlich ist die allgemeine Sicherheit. Dankenswerterweise! Ob ich den Notruf wähle oder in ein Krankenhaus gehe – ich bekomme stets Hilfe. Jederzeit. Ein absoluter „Luxus“. Uns kann es im Vergleich kaum besser gehen.

Das sehen nicht alle so …

Richtig. Um so weniger verstehe ich es, wenn Menschen in unserem Land Rettungskräfte angreifen oder prinzipiell den Staat anzweifeln oder die Wissenschaft leugnen. Diese Menschen repräsentieren zum Glück nicht die ganze Gesellschaft, sondern nur eine kleine Gruppe. Dennoch: Diese Widersinnigkeit manch Einzelner geht mir manchmal nicht in den Kopf.

Auf das letzte Jahr zurückgeblickt: War das Glas halb voll oder halb leer?

Das Glas war halb leer und gleichzeitig halb voll.

Das müssen Sie uns erklären. Warum halb leer?

Jeder hätte sich gewünscht, dass Corona Mitte des Jahres ein Ende hat. Dass wir uns wieder normal, face-to-face, treffen können. Um es einfach zu sagen: Es soll wieder so sein, wie es einmal war. Im Juli beschäftigte uns beim THW zudem mittelbar die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Diese zwei Ereignisse prägten maßgeblich das vergangene Jahr.

Und jetzt zum halb vollen Glas. Was stimmt Sie optimistisch?

Unser Bevölkerungsschutz mit all seinen ehren- und hauptamtlichen Organisationen und die damit zusammenhängende Unterstützung der Gesellschaft ist großartig. Die große Bereitschaft anderen Menschen zu helfen, stimmt mich positiv.

Wo war die Hilfe des THW gefragt?

Unsere Helferinnen und Helfer in Biberach waren wegen der Pandemie über acht Monate im Dauereinsatz. Rückblickend war es der längste zusammenhängende Einsatz in unserer THW-Geschichte. In diesen acht Monaten haben wir an verschiedenen Stellen mit insgesamt rund 3.000 Einsatzstunden aktiv unterstützt. Sei es bei den Mobilen Impfteams, bei logistischen Leistungen in den Impfzentren oder im Einsatz in den Schnelltest-Zentren. In dieser intensiven Zeit unterstützten unsere Helferinnen und Helfer dann auch noch im Flutkatastrophengebiet im Ahrtal. Alles ehrenamtlich!

Das THW war Teil eines großen Ganzen. Die Blaulichtfamilie rückte 2021 eng zusammen.

In der Tat. Und das soll weiterhin so bleiben! Dass die verschiedenen Hilfsorganisationen so gut abgestimmt Hand-in-Hand arbeiten, wäre vermutlich ohne Corona und ohne die Flutkatastrophe nicht in dem Umfang und in der Geschwindigkeit geschehen, wie es passiert ist. In Biberach und in den umliegenden Gemeinden haben wir innerhalb der Blaulichtorganisationen durch die gegenseitige Unterstützung und den Erfahrungsaustausch enorm voneinander profitiert. Wir sind zusammengerückt. Das freut mich sehr.

Ihr Ehrenamt fordert Sie in unterschiedlicher Weise. Was ist das Schönste und das Schlimmste daran?

Komischerweise ist das Schönste gleichzeitig auch das „Schlimmste“: Ein Ehrenamt kostet Zeit! Ein Ehrenamt gibt einem aber auch viel tolle Zeit zurück. Zeit mit anderen Menschen. Zeit für sich, um abzuschalten. Zeit, um gemeinsam Dinge zu erreichen. Zeit, um seine persönlichen Fähigkeiten einzubringen und um Neues zu lernen.

Kann man das als Appell verstehen: runter vom Sofa und rein ins Ehrenamt?

Ich finde, dass es heutzutage keine Rolle spielt, wo oder für was man sich engagiert. Hauptsache man engagiert sich und tut etwas! Ob bei einer Hilfsorganisation, im Sport- oder Musikverein, beim Tierschutz, in der Jugend- oder Seniorenarbeit oder bei der Flüchtlingshilfe. Ehrenamtliches Engagement hat viele Facetten, da dürfte für jeden etwas dabei sein. Gerade uns junger Generation fällt es manchmal schwer, sich von den sozialen Medien loszureißen. Doch das Leben spielt sich eben nicht nur auf Twitter, TikTok, Instagram und Facebook ab, sondern auch lokal vor Ort im echten Leben.

Sie haben es vorhin gesagt: Für andere etwas tun kostet Zeit und Energie. Welche Kraft ziehen Sie aus Ihrem Engagement?

Ich engagiere mich beim THW von Anfang an mit Herzblut. Die vielseitigen Tätigkeiten und Möglichkeiten in unserer Organisation bereiten mir Freude. Wie gesagt: Man verbringt die Zeit im Ehrenamt mit Gleichgesinnten, mit tollen Menschen und es entstehen auch Freundschaften. Dieses gemeinsame Miteinander motiviert mich.

Welches Wort würden Sie gerne öfter sagen? Und warum?

„Wieso? Weshalb? Warum?“ Wer nicht fragt bleibt dumm. So kenne ich noch die drei Wörter aus dem das Titellied der „Sesamstraße“. Heute fällt es mir nicht immer leicht, meinen Patenkindern oder meiner Tochter etwas ganz Selbstverständliches aus dem Alltag zu erklären. Warum ist der Himmel blau? Wie kommen die Löcher in den Käse? Aus diesem Grund möchte ich mit den Wörtern neugierig bleiben.

Und welches Wort würden Sie gerne aus Ihrem Wortschatz streichen?

Das mache ich … „später“. Den Faktor Zeit im Ehrenamt sprach ich schon an. Er zwingt uns im Alltag zu priorisieren und Entscheidungen zu treffen. Leider kommt das Privatleben, besonders die Familie, oft zu kurz. Die Herausforderung ist, die Balance zwischen Beruf, Ehrenamt und vor allem dem Privatleben – das ist meiner Ansicht nach die wichtigste Säule – zu wahren.

Was war das schönste Kompliment, das Ihnen jemand einmal gemacht hat?

„Ich bin immer für dich da, wenn du was brauchst!“ Im ersten Moment hört sich der Satz vielleicht nicht direkt wie ein Kompliment an. Wenn er aber von der Familie, von Freunden oder gar von fremden Menschen gesagt wird und ehrlich gemeint ist, dann ist doch das Füreinanderdasein das schönste Kompliment und die größte Wertschätzung, die einem widerfahren kann.

Zur Person

Jonas Allgeier ist 31 Jahre alt. Er lebt mit seiner Frau und seiner Tochter in Biberach. Er arbeitet beim Führungs- und Einsatzstab des Polizeipräsidiums Offenburg.

Beim THW ist er seit 19 Jahren. 2003 trat er in die THW Jugend ein. Später war er in verschiedenen Funktionen im Ortsverband aktiv. Als Helfersprecher war er von 2009 bis 2018 neun Jahre lang eine Art „Betriebsrat“ und verantwortlich für die Belange der Helferinnen und Helfer im Ortsverband. 2018 wurde Jonas Allgeier als stellvertretender Ortsbeauftragter im Ortsverband bestellt. Als stellvertretender Ortsbeauftragter führt er den Stab des Ortsverbandes und vertritt den Ortsbeauftragten, in Biberach ist das Hans Jörg Sorychta, in dessen Abwesenheit. Er ist für den inneren Dienst im Ortsverband, sprich für die Ausbildung, Jugendarbeit, Öffentlichkeitsarbeit, Materialerhaltung und die Einsatzbereitschaft des OV-Stabes verantwortlich.

Auf Landesebene organisiert Allgeier mit einem weiteren Verantwortlichen den jährlich stattfindenden Weihnachtsbaumtransport für die Landesvertretung Baden-Württemberg nach Berlin.

Das THW Biberach/Baden hat derzeit 108 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, davon sind 23 in der  THW-Jugend (10 bis 17 Jahre) aktiv.

Zum THW

Das THW ist die ehrenamtliche Einsatzorganisation des Bundes. Das Engagement der bundesweit knapp 80.000 Freiwilligen ist die Grundlage für die Arbeit des THW im Bevölkerungsschutz. Mit seinem Fachwissen und seiner Erfahrung ist das THW gefragter Unterstützer für Feuerwehr, Polizei, Hilfsorganisationen und andere. Das THW wird zudem im Auftrag der Bundesregierung weltweit eingesetzt. Dazu gehören unter anderem technische und logistische Hilfeleistungen im Rahmen des Katastrophenschutzverfahrens der Europäischen Union sowie im Auftrag von UN- Organisationen.

Text und Foto: Schwarzwälder Post/Susanne Vollrath


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